Die „tele-aktionen“, wie Peter Weibel eine Reihe von Arbeiten nannte, die von 1969 bis in die 1970er Jahre reichen, enthalten als Begriff einen reizvollen Widerspruch in sich. Aktionen haben einen unmittelbaren und spontanen Charakter. Sie sind der Performance verwandt und finden gewöhnlich in Gegenwart des Publikums statt, im Falle der Kunst vorwiegend in Galerieräumen. Der Wiener Aktionismus, der damals seinen Höhepunkt überschritten hatte, liefert dafür einschlägige Beispiele. Auch die „text-aktionen“ im Oeuvre Weibels fallen als Hörstücke in eine solche Kategorie. Aber die „tele-aktionen“ waren für das Fernsehen bestimmt, wo man Programme erwartet, die auf eine meist anonyme und jedenfalls rituelle Weise gesendet werden. Das Medium legt von vornherein eine Distanz zwischen Sendung und Publikum, während umgekehrt Aktionen Kontakte zwischen den Akteuren und ihren Zuschauern herstellen. Der damalige Fernsehempfänger musste es also wie einen Überfall erleben, wenn die Sendung durch einen Eindringling „gestört“ wurde, den man dort nicht erwartete und der sich nicht an die Regeln hielt. Natürlich kam es, schon wegen der kostspieligen Sendezeit, damals jeweils nur zu einem zögernd zugestandenen Intermezzo, einem „Entre-Acte“, der das laufende Programm unterbrach.
Bis jetzt ist aber nur ein Aspekt genannt worden, der in den „tele-aktionen“ eine Rolle spielte. Ein anderer Aspekt lag für Weibel darin, das TV für die Kunst zu erobern. Das hieß keineswegs, Kunst auch im Fernsehen zu zeigen. Vielmehr ging es darum, Kunst dort zu „machen“ und damit für Kunst eine neue Öffentlichkeit zu mobilisieren. Für eine kleine Weile schien es, als könnten die Künstler darauf hoffen, dieses Medium in die Hand zu bekommen. Die Beispiele brauchen hier nicht erwähnt zu werden. Die „tele-aktionen“ unterscheiden sich von ähnlichen Versuchen dadurch, dass sie die Bilder im Fernsehen, und damit dieses selbst, kritisch analysieren, also den Ort der Tat dadurch bloßstellen, dass sie die dort gebräuchlichen Klischees sichtbar machen. Sie konterkarieren die Schein-Wahrheit der TV-Bilder durch eine Intervention, in der das TV als Produzent von Illusionen enttarnt wird. Der aufgeschreckte Betrachter sollte sich dabei bewusst werden, wie wenig er gewöhnlich zu sehen bekam und wie sehr in diesem Bildrepertoire die Stereotypen vorherrschten.
Eine Weile schien es, als würde mit dem Fernsehen für die Bilder eine neue Ära anbrechen. Im April 1961 wurde eine Ausgabe der Cahiers du Cinéma dem Fernsehen eingeräumt, mit dem sich der Film auseinandersetzen sollte. Aber Jean-Claude Bringuier beklagte in der gleichen Ausgabe, dass die „mystique du direct“ bereits damals im Verschwinden war, denn sie war schließlich an die Direktübertragung der Bilder gebunden, der das Schauspiel inzwischen den Rang ablief. (1) Kommunikation war als Begriff ein reiner Hohn, denn sie muss intersubjektiv erfolgen, während die „Übertragung“ anderen Regeln folgt, wie Régis Debray in seinem Buch Transmettre 1997 erbarmungslos darlegt. Die Unmittelbarkeit sei eine Illusion. Jacques Derrida und Bernard Stiegler (2) beklagten in ihren Interviews, es handele sich im TV um eine „expropriation et deterritorialisation“, die den Betrachter von seiner eigenen Realität entfremde.
In diese Perspektive lassen sich bereits die frühen Arbeiten Peter Weibels einordnen. Sie gehören in die heroischen Jahre einer Aufbruchszeit, in welcher in der Kunst noch alles möglich schien. Allerdings trat der Künstler nicht allein als Kritiker eines öffentlichen Mediums an, sondern nahm die Gelegenheit wahr, um seine eigenen Themen vorzubringen: die Frage des Raums, in dem sich Identität herstellt oder scheitert, und die Frage nach dem Ort der Bilder, eine Frage, welche auch zum Blick auf die Geschichte von Bildern einlädt, die in zunehmendem Tempo prozessual geworden sind, wobei sie sich auch des Betrachters bemächtigen. In gewisser Hinsicht schien sich das Fernsehen gegen seine eigenen Möglichkeiten zu wenden, sodass sich die Aktionen Peter Weibels gegen eine Entwicklung richteten, deren Leerlauf er brandmarken wollte.
Man tut gut daran, zwischen den „tele-aktionen“ und den Videos zu unterscheiden, die Weibel in den gleichen Jahren produzierte. Der Unterschied liegt nicht so sehr in der Technik als vielmehr in der Intention. Das Künstler-Video mag im Fernsehen aufgeführt werden, aber nimmt darauf keinen Bezug. Es wird auch im Galerieraum gezeigt und stellt dort die anscheinend selbstbezogene Präsenz eines Künstlers dar. Rosalind Krauss hat 1976, im ersten Heft der Zeitschrift October, diese Haltung kritisiert, aber dabei auch wesentliche Merkmale der damaligen Gattung genannt. Sie sprach von einer narzisstischen Ästhetik, so, wenn etwa Vito Acconci in der Arbeit Centers 1971 auf das Zentrum eines Monitors zeigte und ihn dabei als Spiegel benutzte. (3) Diese Sicht muss uns hier aber nicht beschäftigen, weil es gerade darum geht, in den „tele-aktionen“ eine andere Gattung zu entdecken, die sich an das TV-Publikum wandte und ihm den naiven Blick auf sein Lieblings-Medium raubte.
Ein eher harmloses Experiment lag im Falle der „tv-news“ darin, den Apparat als den realen Kasten im Zimmer des Betrachters zu entlarven, der als solcher eigentlich für gar keine Bilder von der gesendeten Art ein Ort sein kann oder Platz hat. Ein professioneller Nachrichten-Sprecher, der dem TV-Publikum bekannt war, schien in der engen Box am Rauch seiner eigenen Zigarre zu ersticken, als säße er im Apparat selbst. Außerdem zog er während der Ansage an seiner Zigarre, wodurch es zu einem neuen Tabu-Bruch kam. Die Bilder widersprachen in dieser etwas gewaltsamen Parodie dem Ort, an dem man sie zu sehen bekam. Als Tele-Bilder entziehen sie sich jedem Blick, der genauer über sie Bescheid wissen will. In einer anderen Arbeit verwandelte sich das Fernsehgerät in ein Aquarium, in dem die Fische starben, wenn man das Wasser abließ. Natürlich war dies eine Illusion, aber sie machte darauf aufmerksam, dass dem Sendeprogramm im TV ohnehin eine Illusion zugrunde liegt. Andere Arbeiten, die als „tele-aktionen“ im engeren Sinne firmieren, gehen in ihrem semantischen Spektrum indessen weit über solche Demonstrationen hinaus und entfalten einen im eigentlichen Sinne medienkritischen Diskurs, welcher dem Thema der Bildübertragung gilt. Darunter ist an erster Stelle die Arbeit „abbildung ist ein verbrechen“ von 1970 zu nennen.
Natürlich bezieht sich der Titel auf ein berühmtes Diktum von Adolf Loos, das aber hier auf den Leerlauf der Bilder, an die wir so gerne glauben, bezogen ist. Der Vorspann mit dem Text „ein beitrag zur tele-kommunikation“ kann nicht nur im ironischen, sondern auch in einem aufklärerischen Sinne verstanden werden. Man sieht den Künstler hinter dem Sucher einer Polaroidkamera. Er macht ein Bild, doch bleibt der Betrachter, auf den die Kamera scheinbar gerichtet ist, im Ungewissen, wer denn da aufgenommen wird. Noch weniger ahnt er, wer denn den Mann mit der Kamera aufgenommen hat. Während die Kamera das gemachte Bild 30 Sekunden lang entwickelt, muss der TV-Zuschauer vor einem schwarzen Bildfeld warten, auf dem gar nichts zu sehen ist. Erst dann kommt das Team der TV-Filmer ins Bild, übrigens mit einem Live-Ton. Die Rollen von Sender und Empfänger sind vertauscht. Das TV-Team wird beim Filmen fotografiert, und zwar in einem Standbild, welches den laufenden Film negiert. Aber nur das Team, und nicht der Fotograf, konnte das Bild im TV übertragen. Bilder produzieren Bilder, wobei der Zuschauer nur Statist ist, also bloßer Zuschauer bleibt bei einer Aktion, die gar nicht ihm gilt, obwohl sie in sein Wohnzimmer gesendet wird. Es findet vor seinen Augen ein Schusswechsel zwischen zwei Bildproduzenten, im Namen verschiedener Medien, statt. Wo ist also das Bild? Und wo bin ich, wenn ich im Bild bin? So könnten die Fragen eines Zuschauers lauten, der daran zweifelt, ob er bei dieser Prozedur, entgegen seinen bisherigen Erwartungen, noch wirklich „im Bilde ist.“
Die Arbeit „abbildung ist ein verbrechen“ ist ausführlicher zur Sprache gekommen, weil sich daran wesentliche Merkmale der „tele-aktionen“ ablesen lassen. Sie sind einerseits Aktionen, aber mehr noch kritische Reflexionen über den Bildertransport in den Massenmedien, in dem sich die Bilder in einem Kreislauf einschließen. Sie haben keine andere Referenz als sich selbst.
Jeder, der die Welt hinter ihnen sucht, wird sich in neuen Bildern verfangen. Schon der Begriff „Abbildung“ im Titel der Arbeit lässt sich hinterfragen (Weibel setzt die gewählten Be- griffe mit einer lauernden Strategie ein). „Abbildung“ verspricht doch im Grunde, eine Referenz auf den Gegenstand der Abbildung zu liefern, aber die Bilder geben sie nicht her oder verstecken sie in neuen Bildern. In der Arbeit „unsichtbare grenzen“ ist der Zollbereich des Wiener Flughafens, wenn man einen einzelnen Aspekt aus diesem Werk herauslösen darf, als Metapher für eine extraterritoriale Zone gewählt, in welcher andere Gesetze gelten oder, um beim Argument zu bleiben, die Bilder selbst im Wohnbereich ihrer Konsumenten in einer eigenen, zollfreien Welt zirkulieren. In der Arbeit „intervalle“ wird die aktuelle Bildproduktion nach rückwärts im historischen Bildangebot gespiegelt, also Raumwahrnehmung gegen Bilderfahrung aufgerechnet, wie sie im perspektivischen Bild erscheint. Zunächst hat der Künstler eine akustische Gegenbilanz aufgetan. Er filmte einen Tongenerator, der einen Sinus- oder Messton produziert. Die Kamera entfernte sich in messbaren Intervallen, wobei die Entfernung zunahm und das Tonvolumen in gleichem Maße abnahm. Schließlich blieb nur das Eigengeräusch des Apparats im Ohr, während der reproduzierte Ton in der Ferne verschwand. In einer Variante für den ORF wurde anstelle des Generators ein Monitor eingesetzt. Er steht in einer von hohen Hecken geometrisch, und linear, gesäumten Parkallee in Schönbrunn. Das sogenannte „Alberti-Fenster“ des Renaissance-Tafelbilds enthüllt selbst in dieser Handhabung noch seinen rhetorischen Charakter. Zunächst kann man das perspektivische Bild auf dem eigenen Bildschirm noch, so scheint es, deutlich von dem immer kleiner werdenden (und ferner rückenden) Bild auf dem gefilmten Monitor (einem Bild im Bild) unterscheiden.
Aber wenn der gefilmte Monitor schließlich im Fluchtpunkt ganz verschwindet, behält man immer noch das Bild, das man die ganze Zeit sah, auf dem Bildschirm zurück, womit die Differenz von Natur und Bild wie ein Kartenhaus in sich zusammenfällt. Alle Beobachtungen, die man am Bild zu machen glaubte, haben unbemerkt in einem Bild stattgefunden.
In der Arbeit „the endless sandwich“ wird schon zu Anfang der ganzen Reihe die Spiegelsituation in einer aufschlussreichen Inversion auf die anonymen Verhältnisse im TV-Konsum projiziert. Es scheint zunächst, als befinde man sich in einem Spiegelkabinett, in dem sich das eigene Spiegelbild fluchtartig wiederholt. Doch der Schein trügt. Im Fernsehen kann und soll sich der Konsument nicht selbst wieder finden, sondern nur seinen Apparat einschalten. Er bleibt anonym in der unsichtbaren Gesellschaft anderer TV-Benutzer. Wie in einer Domino-Serie steht jeweils ein anderer, weiter ins Bild gerückter und zugleich ein in einem neuen „Bild“ eingefangener Betrachter vor dem Gerät auf, um eine Störung in der Frequenz zu regulieren, was damals noch möglich war. Jeweils macht ein anderer das Gleiche, ohne dass man sich untereinander zu Gesicht bekommt. Wir sehen nur Rückenfiguren, die eine nach der anderen zwar in den Blick, aber nicht in das gesendete Programm kommen: ihr Spiel beschränkt sich auf Konsum und Benutzung. Der stereotype Griff nach dem Knopf des Bildapparats wird selbst zum Thema der Reproduktion, womit Weibel das Publikum auf eine paradoxe Weise, nämlich im Akt seines Konsumverhaltens, ins Bild (wenn auch nicht ins Bildprogramm des TVs) kommen lässt.
Der Künstler, der wahrhaftig nicht um Worte und Erklärungen verlegen ist, demonstriert in den „tele-aktionen“, dass sich Argumente auch in Bildern vorbringen lassen, wenn man sie (statt sie im TV nur zu konsumieren) zum Gegenstand der Reflexion macht. Die „reflexiveness“ war hier eingelöst, bevor sie Rosalind Krauss Jahre später vom Videokünstler einforderte.
1 Cahiers du Cinema, Nr. 118, Paris, April 1961, S. 29ff ^
2 Jacques Derrida, Bernard Stiegler, Échographies de la télévision, Paris 1996, S. 47 ^
3 Rosalind Krauss, Video: „The Aesthetics of Narcissism“ in: October, Nr. 1.1, Oktober 1976 ^